"Werden des Cunnersdorfer Bahnhofs und der Post", von Gottfried von Lippe mit handschriftlichen Ergänzungen von Berhard von Lippe (Auszug)


"... Anlässlich eines grösseren Viehkaufes hatte Robert v. Lippe in Senftenberg längere Zeit Aufenthalt und benutzte in seiner ungezwungenen Weise die nächtliche Warterei zu einem Plauderstündchen mit einem Bahnmeister, der ihm die (oben) geschilderten Hindernisse eines Haltepunktes klarlegt und dazusetzt, der Haltepunkt (Cunnersdorf) wird nur versuchsweise eingerichtet, es sei mit Bestimmtheit anzunehmen, dass sich ein Anhalten nicht lohnen würde, und dann würde sofort der Haltepunkt wieder eingezogen. Sobald Bernhard v. Lippe von erneuten Schwierigkeiten hört, war er in seinem Element: Schwierigkeiten zu überwinden.

Unmittelbar nach Eröffnung der Haltestelle im Jahr 1890 muss der Dorfschullehrer Grobleben auf Kosten Bernhards v. Lippe mit sämmtlichen Cunnersdorfer Schulkinder von der neuen Haltestelle aus nach Kamenz fahren, die Kinder auf den Hutberg führen und im Goldenen Berg, jetzt Hotel Lehmann am Bönischplatz sogar bewirten lassen und dann wieder mit der Bahn nach Cunnersdorf zurückfahren. Besuch wird von auswärts eingeladen, aber so, dass der Haltepunkt Cunnersdorf für Anfahrt und Abfahrt benutzt werden muss. Der befreundete Pastor Bödrich in Bernsdorf, unmittelbar hinter der Landesgrenze kommt mit seinem Jünglingsverein auf den „Roten Berg“. Dort hatte unterdessen als besondere Anziehungskraft Bernhard einen hölzernen zweistöckigen Aussichtsturm, mehr nur ein Gerüst, das mit Leitern zu ersteigen war, durch Baumeister Eger in Kamenz herstellen lassen.

Im Kamenzer Wochenblatt erschienen gewaltige Aufforderungen, diesen neuen Aussichtspunkt, der eine ungeahnte Aussicht bis in die Mark Brandenburg, andererseits [auch] die Landeskrone zu sehen ermögliche, kostenlos aufzusuchen. Die Hauptsache an dieser Aufforderung war natürlich der Nachsatz: ‚Bequem in 2 Minuten von dem unmittelbar daneben gelegenen neu eröffneten Haltepunkt Cunnersdorf zu erreichen‘. Und wie schon die alten Griechen ‚nach etwas Neuem begierig‘ waren auch die Kamenzer nach dem Neuen begierig und glaubten bestimmt viel verpasst zu haben, wenn sie nicht sofort von diesem Aussichtspunkt die Welt in einem neuen anderen Blickfeld gesehen hätten, und taten Bernhard v. Lippe den Gefallen, mit der Bahn nach Cunnersdorf zu kommen. Der Aussichtsturm blieb als Holzgerüst bis zu Kriegsbeginn, also 25 Jahre stehen, er hat bei der Schuljugend grosses Interesse erregt, …

 … Aber zurück zur Jahrhundertwende, die den Güterbahnhof in erreichbare Nähe und zugleich hinter einem unheimlichen Berge von Widerständen rückte. Da wurde der Güterbahnhof durch etwas ganz Neuartiges mit schneckenhafter Langsamkeit, aber doch ganz systematischer Zielstrebigkeit eine unabwendbare Notwendigkeit. Kam da eines Tages 1903 ein Herr, gut bei Leibe, gut bei Form und gut bei Anzug mit der Bahn an; das fremdartige Auftreten, so sicher und so herrenhaft fiel dem guten Hampel (Bahnvorsteher in Cunnersdorf) auf, er hätte um alles gern (gewusst), wer der feine Herr ist, der nicht vom Rittergute abgeholt wird, der auch seinen Weg nicht nach dem Dorfe nimmt, sondern längs der Bahn nach Kamenz in den Bernbrucher Wald ging, wohin sonst niemand, der etwas Rechtes zu suchen gewillt war, von Cunnersdorf aus seine Schritte lenkt.

Lange vor Abgang des 3 Uhr Zuges ist er wieder auf der Haltestelle, fängt mit Hampel ein gemütliches Gespräch an, bietet Hampel, der ihm doch keine Gefälligkeit erwiesen hat, nicht mal eine der beiden Bürsten angeboten hat, um den feuchten Waldschmutz wieder zu entfernen, eine Zigarre von einer Qualität an, wie sie Hampel noch nie gerochen hat. Diensteifrig reisst Hampel eine II. Klasse auf, als endlich der Zug kommt, grämt sich drüber, dass es ihm nicht möglich war, das Wer, Woher, Wozu in Erfahrung gebracht zu haben. Der vornehme Herr drückt so ganz nebenbei dem dienenden Hampel ein Stückchen Papier in die Hand und, nun sagt Hampel: ‚So dämlich habe ich noch keinem abfahrenden Zuge nachgeschaut, das Stückel Papier war ein Zehnmarkschein, einer von den lichtgrünen mit dem grossen weissen Teil, die so völlig anders als die anderen deutschen Scheine waren'. 

Nicht mal richtig danke hatte er sagen können und keine Ahnung, wer es war, und warum der Herr ihm fürs Kupeeaufmachen ein so fürstliches Trinkgeld gab. Sehr bald sollte Hampel aber das Rätsel gelöst bekommen; denn mit einer Raschheit und Zielstrebigkeit, wie sie den Industriellen der Kaiserzeit eigen war, die solide arbeiteten, eröffnete der Reisende, der Halbach aus Dresden war, und in Horka einen Grosssteinbruchsbetrieb besass, den grossen Steinbruch Halbach auf der Bernbrucher Flur unmittelbar an der Strecke Cunnersdorf – Kamenz.

Da wegen Terrain- und Tarifschwierigkeiten und wegen der weiteren Entfernung das Anschlussgleis nicht nach Kamenz hereinzubringen war, nahm er den Anschluss nach Cunnersdorf und nannte sein Grauwackenschotterwerk auch Cunnersdorf. Ein Stumpfgleis wurde bis an den Cunnersdorfer Bahnhof herangeführt und endete dort, wo heute die Möglichkeit für Langholzverladung geschaffen worden, ungefähr am ehemaligen Bahnübergang an der Grenzviehtreibe. Dort war auch fester Boden, und nun bestand für Cunnersdorf und Gemeinde die Möglichkeit, an diesem Stumpfgleis Loren zu beladen und zu entladen; …“


Steinbruch Liebenau 1911

Halbachsche Steinwerke Liebenau 1911. Quelle: Stadtarchiv Kamenz.


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